Radentscheid-Unterstützer:innen

Foto: Martin Weiser

Bericht

Wer weniger Autos will, braucht bessere Radwege

Beim Radfahren in Bonn kann es gute und schlechte Überraschungen geben. Eins wird klar: Es muss noch viel passieren. Der Radentscheid weist den Weg.

Die Benzinpreise steigen und ohnehin sollten wir ja weniger mit dem Auto fahren – dem Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen zuliebe. Eine Bonnerin, nennen wir sie Aylin, wagt es also: Sie hat sich entschieden, nun ihre Wege in der Stadt mit dem Rad zurückzulegen. 

Frohen Mutes schwingt sie sich auf ihren Drahtesel und nimmt einen tiefen Atemzug der frischen Herbstluft. An Motivation mangelt es ihr heute schon einmal nicht. Doch bereits nach den ersten 200 Metern ist sie frustriert: Immer wieder drängeln Autos von hinten und überholen dann so dicht, dass sich Aylin mit jedem Meter unsicherer fühlt. Aber zu dicht neben den geparkten Wagen will sie auch nicht fahren. Denn sie hat von schweren Unfällen gehört, wenn Autofahrer:innen beim Aussteigen plötzlich die Türe aufreißen. Und einmal konnte sie dann auch selbst nur knapp einen Sturz vermeiden. Sie war aufmerksam, der aussteigende Autofahrer nicht. So hatte sie sich das nicht vorgestellt. Aylin überlegt, ob sie nicht doch wieder das Auto nehmen soll.

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Bus- und Radspur, Bertha-von-Suttner-Platz Bonn
Rights of use

Foto: Martin Weiser

Im dichten Stadtverkehr kommt es häufig zu gefährlichen Situationen für Radfahrende – beispielsweise wie hier auf dem Bertha-von-Suttner-Platz.

So wie Aylin geht es vielen. Für eine erfolgreiche Mobilitätswende braucht es aber noch viel mehr Menschen, die Rad fahren. Das Gutachter-Konsortium, das für Bonn einen Klimaplan erarbeitet, empfiehlt: Die Hälfte der täglichen Wege auf Bonner Stadtgebiet sollte zukünftig mit dem Fahrrad oder zu Fuß zurückgelegt werden. Und das wäre sehr gut möglich! Denn in Deutschland sind knapp 50 % der Fahrten kürzer als 5 km – fast 75 % unter 15 km.1 Ein Großteil des Geländes ist flach und das Klima ist mild. Kurze und mittlere Strecken können also fast immer mit dem Rad zurückgelegt werden.

Sicherheit für Radfahrende ist das A und O

Fahrräder sind verhältnismäßig günstig in der Anschaffung und im Unterhalt. An den Kosten scheitert es also nicht. Was viele vom Radeln abhält, ist die alltäglich erlebte Gefährdung, vor allem durch den Autoverkehr. Für Sicherheit und Komfort vergeben Bonner Radfahrer:innen im Fahrradklima-Test des ADFC (2020) jeweils sehr schlechte Noten. Dabei sind den Teilnehmenden der Umfrage gerade ein gutes Sicherheitsgefühl, die Akzeptanz durch andere Verkehrsteilnehmende und ein konfliktfreies Nebeneinander am allerwichtigsten (jeweils rund 80 % Zustimmung).

Wer weniger Autos und mehr Fahrräder in Bonn sehen will, der braucht sichere Radwege und weniger Raum für PKW. (Annette Quaedvlieg, Radentscheid Bonn)

Wie das aussehen kann, hat Stefan Padberg aus Bonn in einem Urlaub erlebt. Er war auf Radtour in den Niederlanden. In einer Woche hatte er nicht eine gefährliche Situation. Der Grund: Sowohl mitten in der Stadt als auch auf dem Land gibt es durchgehende Radwege. Stefan sah Autos daher nicht drängelnd hinter sich, sondern parallel auf einer separaten Fahrspur. Überall gab es dazu noch gute und sichere Abstellmöglichkeiten. „Das will ich auch zu Hause!", sagte er sich. So begann Stefans Engagement für den Radentscheid.

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Teilnehmende der kidical mass fahren auf der B9 in Bonn
Rights of use

Foto: Martin Weiser

Bei der Kidical Mass fahren Kleine und Große in kinderfreundlicher Geschwindigkeit durch Bonn und demonstrieren für eine Infrastruktur, in der sich Kinder gern selbstständig bewegen.

... und was hat der Radentscheid damit zu tun?

Der Radentscheid ist ein sogenanntes Bürgerbegehren. 28.000 Unterschriften hat ein ehrenamtliches Team gesammelt, denn die Menschen in Bonn sollen gerne und gut mit dem Rad fahren können. Der Rat der Stadt ist am 4. Februar 2021 ihren Forderungen mit breiter Mehrheit gefolgt – jetzt geht es an die Umsetzung.

Der Radentscheid umfasst sieben Ziele, die nun politisch beschlossen sind:

  1. Ein durchgängiges Radnetz einrichten!
  2. 15 km neue Radwege jedes Jahr, je Fahrtrichtung mindestens zwei Meter breit, gut asphaltiert und markiert, zusätzlich genug Platz für Fußgänger:innen
  3. Große Ampelkreuzungen sicher gestalten
  4. Sichere Einmündungen und Zufahrten
  5. Jährlich über 3.000 neue sichere Abstellplätze für Fahrräder
  6. Geh- und Radwege nutzbar halten. Schlaglöcher, Laub, Eis und Autos gehören hier nicht hin.
  7. Transparente Umsetzung mit einem jährlichen Bericht

Fast 28.000 Bonner:innen haben unterschrieben. Das ist das erfolgreichste Bürgerbegehren der Bonner Geschichte! (Annette Quaedvlieg)

Nun geht es darum, die Forderungen schnellstmöglich umzusetzen.

Die ersten Veränderungen auf Bonns Straßen sind sichtbar

Ein bisschen was ist schon passiert: Aylin sitzt wieder auf ihrem Rad. Sie nutzt die neue Verkehrsführung am Rheinufer, dann die Umweltspur und die kurze Strecke mit getrennter Radspur auf der Oxfordstraße, zuletzt die neue Viktoriabrücke. Sie kommt gut gelaunt und sicher an ihrem Ziel im Musikerviertel an. „Das ist wirklich gut geworden. Diese Strecke fahr ich ab jetzt immer mit dem Rad!“

Was oft vergessen wird: Von besseren Bedingungen für Radfahrende haben alle etwas. Denn Fahrradfahren könn(t)en fast alle! Es ist billiger, gesünder und es steigert die Selbstbestimmung. Und von weniger Autos auf den Straßen profitieren auch die, die auf das Auto wirklich angewiesen sind oder an vielbefahrenen Strecken wohnen.

Zarte Pflänzchen einer neuen Mobilitätsinfrastruktur sind z. B. an der Oxfordstraße und am Rheinufer schon Wirklichkeit, doch bei der Umsetzung der insgesamt beschlossenen Ziele steht die Stadt noch am Anfang. So ist bis Dezember 2022 nach wie vor kein durchgängiges sicheres Radnetz beschlossen und veröffentlicht.

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Radweg in Bonn am Alten Friedhof
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Foto: Martin Weiser

Radfahrstreifen zwischen dem Kreisel am Alten Friedhof und Bertha-von-Suttner-Platz mit neuer Markierung. Weiter vorn wird er zur Umweltspur (Fahrspur nur für Bus- und Radverkehr mit 3,50 Meter Breite).

Gut, dass der Wandel zu einer gleichberechtigten und damit humaneren Mobilität begonnen hat. Was wir bisher in der City sehen, ist aber nur ein kleiner Anfang. Der Ausbau von Radwegen in der ganzen Stadt muss nun dringend Tempo aufnehmen.“ (Stefan Padberg, Geograph mit Schwerpunkt Bildung für nachhaltige Entwicklung)

Aylin steht am Rhein und schaut auf den Fluss. So wenig Wasser hatte er noch nie. Ich will wirklich meinen Beitrag leisten. Jetzt, wo ich gute Wege kenne, macht mir das Unterwegssein mit dem Rad auch Freude. Aber ich brauche die Sicherheit, ohne Angst vor gefährlichen Situationen ans Ziel zu kommen."

1 Ein Ergebnis der Studie Mobilität in Deutschland

Radentscheid-Initiativgruppe

Alle zwei Wochen treffen wir uns montagabends und überlegen gemeinsam, wie wir dazu beitragen können, die Umsetzung der Ziele des Radentscheides in Bonn zu beschleunigen. Wir sind eine unabhängige Initiative und arbeiten ehrenamtlich. Bei uns sind Menschen sehr unterschiedlichen Alters und in unterschiedlichen Lebensphasen vertreten. Uns eint die Freude am Radfahren und der dringende Wunsch, zur Mobilitätswende beizutragen. Fahrradfahren in der Stadt, das ist für die einen Lebensgefühl und Freiheit, für die anderen die einfachste und schnellste Art der Fortbewegung!

Neue Aktive sind stets herzlich willkommen. Wendet Euch an kontakt [at] radentscheid-bonn.de.

https://www.bonn4future.de/de/organisationen/radentscheid-bonn

ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club e.V.)

Als Kreisverband Bonn/Rhein-Sieg des ADFC initiieren wir regelmäßig verschiedene Aktionen mit dem Ziel, das Radfahren in unserer Stadt und Region besser und sicherer zu machen. Das verkehrspolitische Engagement wird ergänzt durch umfangreiche Serviceangebote, wie etwa das Codieren von Rädern zum Diebstahlschutz. Fast täglich kannst du bei uns an geführten Radtouren teilnehmen. Einmal im Jahr veranstalten wir eine große Radreisemesse. In 18 Orts- und Stadtteilgruppen sind wir vor Ort für das Radfahren aktiv. Du findest uns im Radhaus in der Breite Str. 71 in der Nordstadt und im Internet.

 

Linktipps

  • Auf der Website des Radentscheid Bonn findest du weiterführende Infos zum Bürgerentscheid und aktuelle Berichte zum Stand der Umsetzung.

  • Die Critical Mass ist eine fröhliche, international verwendete Protestform. Durch eine gemeinsame Radtour durch die Stadt machen die Teilnehmenden auf ihre Bedürfnisse und Rechte im Straßenverkehr aufmerksam, in Bonn an jedem letzten Freitag im Montag. Hier gibt es mehr Infos und alle Termine.

  • Fahrradfahren in deiner Stadt – Spaß oder Stress? Dieser Frage geht der ADFC in seinem Fahrradklima-Test nach. Die Ergebnisse zeigen verantwortlichen Politiker:innen, ob die umgesetzten Maßnahmen erfolgreich sind und was noch verbessert werden sollte.

  • Das Forschungsprojekt „Mobilität in Deutschland" untersucht seit 1967 das alltägliche Verkehrsverhalten der Menschen in Deutschland. Hier können die Ergebnisse der letzten Befragungswelle (2017) nachgelesen werden.

  • Euch motiviert der erfolgreiche Radentscheid? Ihr wollt euch selbst mit einem Bürgerbegehren für eine Sache stark machen? Dann findet ihr bei bonn-macht-mit.de Infos dazu, was ihr dafür tun müsst.

 

Text: Stefan Padberg, Martin Weiser, Redaktion: Robert Janßen-Morof, Sonja Corsten

Globale Nachhaltigkeitsziele – Sustainable Development Goals (SDG)

Die Umsetzung des Radentscheids leistet einen wertvollen Beitrag zu mindestens drei SDGs:

SDG 3: Gesundheit und Wohlergehen: Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern

SDG 11: Nachhaltige Städte und Gemeinden: Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig gestalten

SDG 13 Maßnahmen zum Klimaschutz: Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen

Stadtbahn und Rad in Bonn

Mobilität

Der Verkehr hat den größten Einfluss auf den Klimawandel. Unsere Emissionen sind in diesem Sektor

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