Kooperation statt Konkurrenz – so funktioniert die SoLaWi Bonn/Rhein-Sieg
400 Menschen finanzieren eine faire Bio-Landwirtschaft und teilen sich die Ernte. Das klappt schon fast 10 Jahre. Nur der eigene Hof fehlt noch zum SoLaWi-Glück.
In Kürze
- SoLaWi heißt solidarische Landwirtschaft. Denn es geht um faire Löhne, faire Mitgliedsbeiträge und einen fairen Umgang mit der Natur.
- Wer mitmachen will, wird Mitglied, beteiligt sich für mindestens ein Jahr an den Kosten und bekommt einmal pro Woche (im Winter alle zwei Wochen) unverpacktes Bio-Gemüse vom Hof ins Depot.
- In Bonn und Umgebung gibt es immer mehr SoLaWis. Auch Wissenschaftler:innen und Unternehmer:innen finden das SoLaWi-Prinzip spannend.
Wie kommen wir an gutes Bio-Gemüse aus der Region? Wie können wir vermeiden, dass immer mehr fruchtbares Ackerland zugebaut wird? Und wie können wir Landwirt:innen wieder eine Zukunftsperspektive bieten? Diese Fragen bewegten Hilke Deinet und Klaus Lange vor ziemlich genau 10 Jahren auf der ersten öffentlichen Transition-Veranstaltung von Bonn im Wandel. Dort haben sie eine Initiative gestartet, um die Ernährungsversorgung in Bonn nachhaltiger zu machen. Heute teilen sich über 400 SoLaWi-Mitglieder das Gemüse vom eigenen Betrieb. Die SoLaWi Bonn/Rhein-Sieg ist ein bürgerschaftlich getragenes Unternehmen geworden, ein Leuchtturm für „Landwirtschaft geht auch anders“ oder: Wir fragen nicht lange, wir organisieren es einfach selbst.
Wie funktioniert die SoLaWi?
„Sei selbst die Veränderung, die Du in der Welt sehen willst”, das war Hilkes Motto. Und Klaus wollte, dass sein Essen in Fahrradentfernung wächst. Außerdem hatte er Lust, mal wieder auf einem Traktor zu sitzen. Die beiden suchten nach regionalen Biobetrieben, besuchten Foodcoops und stießen dann auf das Modell der solidarischen Landwirtschaft, kurz SoLaWi. Nach einem Seminar beschlossen sie, selbst eine SoLaWi zu gründen. Und das geht so:
- Transparenz: Am Anfang braucht es ein Konzept: Gärtner:innen und Verbraucher:innen klären miteinander: Welche Gemüsearten brauchen wir? Wie fördern wir Biodiversität? Wie pflegen wir den Boden? Wie wollen wir arbeiten? Welche Löhne können wir finanzieren? Wie viel Mithilfe braucht es? Wie verteilen wir die Produkte? So entsteht ein Finanz- und Betriebsplan. Am Ende wissen alle Mitglieder, was angebaut werden soll und was es kostet.
- Gemeinsam wirtschaften: Die Mitglieder verpflichten sich, für mindestens ein Jahr die Kosten zu übernehmen. Die Gärtner:innen haben Finanzierungssicherheit und geregelte Arbeits- und Urlaubszeiten. Ganz anders als auf vielen landwirtschaftlichen Betrieben. Produziert wird biologisch und nach Bedarf. Gewinne gibt es keine.
- Gerechtigkeit und Fairness. Einmal im Jahr gibt es die Beitragsrunde. Wer wie viel zahlen kann, ist unerheblich. Hauptsache das Gesamtbudget kommt zusammen. Bei der SoLaWi Bonn/Rhein-Sieg sind das gut 200.000 Euro. Diese Art der solidarischen Finanzierung ist auf vielen Höfen üblich und funktioniert auch in Bonn schon seit 10 Jahren.
Gut zu wissen
Das SoLaWi-Prinzip macht Schule
Als die SoLaWi Bonn/Rhein-Sieg vor 10 Jahren startete, gab es in Deutschland 27 Betriebe. Heute gibt es fast 400 SoLaWis in Deutschland und 90 Initiativen. Allein zwischen Neuwied und Köln kommt man auf 13 Betriebe. Das Netzwerk solidarische Landwirtschaft berät neue Initiativen. Es führt außerdem eine Liste der SoLaWis in Deutschland.
Die Idee, dass Unternehmen und Verbraucher:innen gemeinsam an einem Strang ziehen, findet immer mehr Anhänger:innen. Auch Wissenschaftler:innen erforschen diese neue Wirtschaftsform. Und in Köln hat sich ein CSX-Netzwerk gegründet. CS steht für community supported, also gemeinschaftlich getragen. Dort macht man sich Gedanken, wie man das SoLaWi-Prinzip auf andere Unternehmen übertragen kann, ob Bäckereien, Software-Unternehmen oder Beratung.
Ernährungspolitik in der Küche: Gegessen wird, was die Gärtner:innen anbauen
Jeden Donnerstag ist Erntetag. Dann landen Kisten voller Gemüse in den Verteilpunkten. Gefüllt mit Blattsalaten, Mangold, Spinat, Kohl, Lauch und allem, was das Feld gerade bietet. Auch alte Gemüsesorten sind dabei, zum Beispiel Pastinaken oder Schwarzwurzeln. Vielfalt und Mengen schwanken saisonbedingt. Eine Ernteeinheit liefert die Basisversorgung für zwei Personen. Manche Menschen teilen sich auch eine Einheit. Nicht immer schmeckt allen alles. Dafür gibt es eine Tauschkiste. „Zum regionalen Essen gehört, dass der Landwirt dir den Kühlschrank füllt, ob du willst oder nicht“, meint Gründer Klaus. So fordern Salat- oder Zucchinischwemmen die Kreativität der Solawistas. Hin und wieder greift ein Grüppchen zum Kochlöffel und macht dann zum Beispiel Zucchini- oder Quittenmarmelade für alle. Das wöchentliche Hardcore-Gemüsekochen passt allerdings nicht zu jedem Lebensstil. Denn es braucht viel Motivation und Zeit. Das ist auch ein Grund, warum manche Mitglieder nach einem Jahr wieder aussteigen.
Die Grenzen der Weltrettung: Wirtschaften gegen den Mainstream ohne Land und Hof
Was sich in der Theorie gut anhört, war in der Umsetzung nicht einfach. Das ehrenamtliche Koordinationsteam des Vereins, kurz Kokreis, musste manche Krise überwinden. Dreimal musste die SoLaWi umziehen, bis Team und Hof zusammenpassten. Heute wirtschaftet die SoLaWi Bonn/Rhein-Sieg e.V. auf dem Pachtland des Biohof Tönneßen. Hier ist ein gutes Miteinander gewachsen. Man hilft sich mit Maschinen, Gemüse oder gutem Rat. Der Kokreis organisiert die Selbstverwaltung. Er ist Arbeitgeber, beschäftigt Gärtner:innen und einen Fahrer, organisiert die Mitgliederverwaltung, die Begleitung des Hofteams, Verteilung der Ernte, Veranstaltungen und bei Bedarf auch Arbeitseinsätze auf dem Acker. Das ist ein hoher Einsatz. Und ohne den geht es auch im Moment nicht. Wie alle Biobetriebe wirtschaftet auch die SoLaWi gegen die Regeln des Marktes. Denn Arbeitskraft wird hoch besteuert und Naturverbrauch praktisch nicht. So haben alle Unternehmen das Nachsehen, die Natur regenerieren und dafür Arbeitskraft brauchen. Wer hingegen Arbeitskräfte einspart und Natur zerstört, hat Wettbewerbsvorteile. Fair ist das nicht. Und zukunftsfähig auch nicht.
Auch der Traum von einem eigenen Hof mit Land, Gebäuden und Zukunfts-Perspektive ist noch nicht wahr geworden. Denn Höfe und Äcker sind der Region Köln/Bonn entweder eine Seltenheit oder nicht mehr bezahlbar.
Und die Gründer:innen?
Hilke gründete in Duisdorf den ersten verpackungsfreien Bioladen von NRW. Klaus war viele Jahre Schatzmeister und führte die SoLaWi durch manch turbulente Zeit. Inzwischen hat er auch einen Traktor. Den aber nutzt er für sein Brennholzgeschäft. Und er isst immer noch SoLaWi-Gemüse – fast jede Woche, seit nunmehr neun Jahren. Rein rechnerisch bestehen alle Mitglieder, die 7–10 Jahre dabei sind, zu etwa 30 % aus Bio SoLaWi-Acker, den sie in Form von Gemüse zu sich genommen haben. Denn so lange braucht der Körper, um einmal alle Zellen auszutauschen. Das ist bestimmt sehr gesund. Von SoLaWi-Kindern sagt man, dass sie gern Salat essen. Ob das tatsächlich so ist, das muss noch erforscht werden.
Drei Fragen an Daniela Baum, Geografin und seit vielen Jahren Mitglied des SoLaWi-Vorstandes
Wofür bist du dankbar?
Ich bin dankbar für die vielen engagierten Menschen, die hartnäckig dran bleiben und dazu beitragen, unsere (Stadt-)Gesellschaft nachhaltiger und fairer zu gestalten. Trotz aller Widerstände. Es tut gut und macht Mut, dieses Netzwerk um sich zu spüren.
Was ist die große Herausforderung bei der SoLaWi?
Eine gute Balance zu finden zwischen ehrenamtlicher und bezahlter Arbeit: Welche Aufgaben lassen sich ehrenamtlich bewältigen? Welche zentralen und kontinuierlichen Tätigkeiten müssen vergütet werden? Tragen unsere Mitglieder das mit? Und wie begeistern wir Menschen für die ehrenamtliche Arbeit?
Wovon träumst du?
Von einem eigenen Hof für die SoLaWi und Ernährungssouveränität für alle: regionale Nahrungsmittelproduktion und -verarbeitung, Bewusstsein und Wertschätzung für gutes, gesundes und nachhaltiges Essen und nicht zuletzt auch die Lust daran und das Know-how dafür, eine regionale Nahrungsmittelversorgung selber mitzugestalten.
Linktipps
- Website der SoLaWi Bonn/Rhein-Sieg
- Website der SoLaWi Alfter
- Comic „SoLaWi in 5 Minuten“ auf bonnimwandel.de
Autorin: Gesa Maschkowski, Mitgründerin der SoLaWi Bonn/Rhein-Sieg
So kannst du aktiv werden:
Finde heraus, ob das SoLaWi-Prinzip zu dir passt
Die SoLaWi Bonn/Rhein-Sieg ist etwas für dich, wenn du Lust hast, mindestens ein Jahr Teil einer Verbraucher:innengemeinschaft zu werden, einen monatlichen Beitrag zu zahlen und jede Woche Bio-Gemüse der Saison zu verarbeiten. Die Mitglieder freuen sich auch, wenn alle hin und wieder auf dem Feld helfen.
Die Ernteeinheiten werden einmal im Jahr, üblicherweise im Februar, vergeben. Manchmal werden auch im Laufe des Jahres Plätze frei. Wer die SoLaWi Bonn/Rhein-Sieg kennenlernen will, kann auch mal bei einem Acker-Aktionstag mitmachen, bei Interesse eine Mail schreiben an info [at] solawi-bonn.de.
Die SolaWi ist nichts für dich, wenn du keine Zeit hast zum Kochen und meistens außer Haus isst. Dann solltest du deine Lebensmittel lieber auf dem Wochenmarkt oder im Bioladen kaufen, eine Regiotüte bestellen oder gucken, wo die nächste Marktschwärmerei ist. Wer günstig an Lebensmittel kommen möchte, kann sich auch der foodsharing-Bewegung anschließen. Wer gutes Biogemüse möchte, nicht so viel Geld und etwas Zeit hat, kann sich auch eine Parzelle auf einem Selbsternte-Feld pachten.
Finde SoLaWis in Bonn und Umgebung
Einen Überblick über SoLaWis, Bioläden und Marktschwärmereien findest du auf den Seiten der Stadt Bonn: https://www.bonn.de/themen-entdecken/umwelt-natur/biostadt.php#biohoefe-biolaeden-und-oekomaerkte-in-bonn-und-der-region
Du möchtest selber eine SoLaWi aufbauen? Hier findest du Infos dazu:
Das Netzwerk Solidarische Landwirtschaft hat tolle Infos für neue SoLaWis: https://www.solidarische-landwirtschaft.org/solawis-aufbauen/aufbau-ein…
Globale Nachhaltigkeitsziele – Sustainable Development Goals (SDG)
Eine Solidarische Landwirtschaft leistet einen wertvollen Beitrag zu mindestens drei SDGs
- SDG 2 Den Hunger beenden: Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern
- SDG 12 nachhaltiger Produktion und Konsum: Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen
- SDG 15 Leben an Land: Landökosysteme schützen, wiederherstellen und ihre nachhaltige Nutzung fördern, Wälder nachhaltig bewirtschaften, Wüstenbildung bekämpfen, Bodendegradation beenden und umkehren und dem Verlust der biologischen Vielfalt ein Ende setzen