Bonn von oben zur Kirschblütenzeit

Foto: Giacomo Zucca, Bundesstadt Bonn

Interview

Klimafreundlich und bezahlbar wohnen – eine Herausforderung in Bonn

Einblicke aus dem Amt für Soziales und Wohnen

Uns fehlen unfassbar viele Wohnungen, sagt Florian Gottschalk, Stadt Bonn. Es wird auch für Normalverdiener immer schwieriger, etwas Bezahlbares zu finden.

Er erklärt, warum es für Vermieter:innen kein bisschen attraktiv ist, geförderten Wohnraum bereit zu stellen oder sogar etwas fürs Klima zu tun - und was sich ändern muss.

Herr Gottschalk, in welchem Amt arbeiten Sie und was tun Sie?

Ich leite im Amt für Soziales und Wohnen das Sachgebiet Grundsatzangelegenheiten und Wohnraumförderung. Das heißt, ich bin zuständig für die Bewilligung von Wohnungsbaumitteln, die Bestand- und Nutzungskontrolle des geförderten Wohnraums und dessen Vermittlung. Wir beantworten aber auch Anfragen der Presse und aus dem politischen Raum. Zum Thema Wohnen gehört auch die Kontakt- und Informationsstelle innovative Wohnformen, deren Vernetzungsarbeit aufgrund des steigenden Interesses an diesen Wohnformen zunehmend an Bedeutung gewinnt.

Wie sieht es auf dem Wohnungsmarkt für Menschen aus, die geförderten Wohnraum suchen?

Uns fehlen unfassbar viele bezahlbare Wohnungen, gerade Wohnungen für Alleinstehende und Familien wurden Jahre nicht gebaut. Wenn jetzt hier nicht etwas passiert, dann werden Menschen mit geringen und mittleren Gehältern hier kaum noch wohnen können. Ich weiß nicht, wo die Rentner:innen in Zukunft bezahlbare Wohnungen finden sollen mit ihrer kleinen Rente, jedenfalls nicht in Bonn. Wir reden aber nicht nur über Rentner:innen, Menschen mit niedrigem Einkommen und Empfänger:innen von Transferleistungen, sondern inzwischen über die Mitte der Gesellschaft.

Über welche Wohnungen verfügt denn die Stadt Bonn?

Die Stadt selbst hat keinen eigenen Wohnungsbestand. Der städtische Bestand ist 2007 verkauft worden. Geförderte Wohnungen gibt es aktuell noch etwas mehr als 10.000. Das entspricht einem Anteil von weniger als 6 % am gesamten Wohnungsbestand in der Stadt Bonn – ein doppelt so hoher Anteil wäre wünschenswert und wird wohnungswirtschaftlich als sinnvoll erachtet. Von diesen Wohnungen wird wiederum ein Großteil von den Eigentümer:innen eigenverantwortlich an Wohnberechtigte vergeben. Nur für die verbleibenden Wohnungen hat die Stadt das Besetzungsrecht, d. h. sie kann nur dort aktiv eine Wohnungsvermittlung betreiben.

Erschwerend kommt hinzu, dass mehr und mehr Altbestände aus der Mietpreis- und Belegungsbindung fallen und künftig als frei finanziert gelten. Das heißt, die Eigentümer:innen können die Wohnungsmiete nach und nach an die Marktmiete anpassen.

Freimeldungen geförderter Wohnungen kommen nur in sehr überschaubarem Maße. Es gibt quasi keinen Leerstand. Dem stehen 3.000–3.500 Haushalte gegenüber, die sich unverbindlich als wohnungssuchend registriert haben und aktiv um geförderten Wohnraum bemühen. Dies ist aber nur ein äußerst geringer Teil derer, die aufgrund ihres Einkommens einen WBS beantragen könnten. Wir gehen Schätzungen von rund 40–50 % der Bonner Bevölkerung aus.

Wer sind denn die Eigentümer:innen in Bonn?

Das ist sehr vielschichtig, viele Wohnungen sind in privater Hand, vom Fliesenleger bis zum Wohnungsunternehmer. Es gibt aber auch Wohnungsgesellschaften, zum Beispiel die Vebowag, Genossenschaften und andere Unternehmen, die größeren geförderten Wohnungsbestand haben.

Warum ist es so schwer,  geförderten Wohnraum zu schaffen?

Auf jedem hochpreisigen Wohnungsmarkt ist es schwer, Leute zu animieren, Wohnraum zu schaffen, der mit Bindungen belegt ist. Warum sollte ich nur 7,00 Euro pro Quadratmeter nehmen und mich bei der Mieterauswahl einschränken, wenn ich auf dem freien Wohnungsmarkt deutlich mehr bekomme und an jeden vermieten kann, der mir gefällt?

Und welche Rolle spielt Klimaschutz und Sanierung?

Wenn man energetisch modernisiert, dann sinken die Nebenkosten. Das lohnt sich aber nur, wenn der Eigentümer seine Investitionen durch eine Erhöhung der Kaltmiete wieder refinanzieren kann. Im geförderten Wohnungsbau bzw. bei Inanspruchnahme von öffentlichen Fördermitteln darf ich aber nur sehr eingeschränkt die Miete erhöhen bzw. – je nach Höhe der bisherigen Miete – gar nicht. Das ist einem Eigentümer naturgemäß schwer beizubringen, dass er modernisieren soll, aber die Kosten nicht umlegen kann. Modernisierungsprogramme scheitern auf hochpreisigen Wohnungsmärkten wie in Bonn, Köln und Düsseldorf oftmals, denn die Eigentümer müssten modernisieren und anschließend mit einschränkenden Mietpreis- und Belegungsbindungen leben, die sie bislang nicht hatten.

Es kann also passieren, dass ich in einer geförderten Wohnung lebe und eine niedrige Kaltmiete habe, aber insgesamt mehr zahle, weil die Nebenkosten explodieren – und dass ich damit schlechter stehe als in einer energetisch sanierten Wohnung, die zwar mehr Kaltmiete kostet, aber weniger Nebenkosten hat?

Dies könnte im Einzelfall zutreffen.

Welche Ansatzpunkte sehen Sie?

Ein Instrument ist das Bonner Baulandmodell. Unter das Bonner Baulandmodell fallen Bauvorhaben, für deren Realisierung ein Bebauungsplan aufgestellt oder modifiziert werden soll. Als Gegenleistung wird der Planungsbegünstigte dazu verpflichtet, bis zu 50% seines Vorhabens gefördert zu errichten.*

Dadurch wird künftig u. a. geförderter Wohnraum auch an Standorten geschaffen, an denen aufgrund der Lage beste Renditen bzw. Mieten zu erzielen wären. Hier würde man normalerweise niemals an Förderung denken – zum Beispiel an der Poppelsdorfer Allee. Erste Anträge, die auf Basis des Baulandmodells zum Bau geförderter Wohnungen führen, sind bereits bewilligt, weitere liegen vor. Aber bis dies größere Wirkung erzielt, vergehen Jahre. Es löst auch nicht das Problem „fehlender bezahlbarer Wohnraum“, denn im Stadtgeiet stehen nur begrenzt Flächen zur Verfügung. Ein anderes Instrument wäre eine spezielle steuerliche Abschreibungsmöglichkeit für den geförderten Wohnungsbau, was allerdings auf Bundesebene geregelt werden müsste.

Was halten Sie davon, dass man Menschen dabei unterstützt, Wohnraum zu tauschen oder zu teilen? An dieser Idee haben mehrere Arbeitsgruppen auf dem 2. Bonn4Future-Klimaforum im Juni 2022 gearbeitet.

Generell mag es vielleicht Reserven geben, das hat aber relativ wenig mit bezahlbarem Wohnraum zu tun. Grundsätzlich würde ich sagen: Je mehr Wohnraum generell da ist, desto mehr hilft das allen. Denn jeder Wohnraum, der da ist, entschärft die ganze Situation.

Was wünschen Sie sich von den Bürger:innen?

Ich wünsche mir Ehrlichkeit und mehr Akzeptanz. Jeder ruft nach Wohnraum, aber vor der eigenen Haustür möchte niemand mit sozialem Wohnungsbau konfrontiert werden. Letzten Endes müsste man sich offen und ehrlich zu dem Problem bekennen und sagen: Es ist nicht schlimm, wenn mal hier in meinem Quartier geförderte Wohnungen entstehen, denn wir brauchen bezahlbaren Wohnraum und die potenziellen Mieter:innen sind Menschen wie du und ich.

* Zur Erläuterung: Viele Bebauungspläne in Bonn sind schon sehr alt. Sie sehen eine  eingeschränkte Bebauung eines Grundstücks vor, zum Beispiel enge Baugrenzen, wenig Geschosse, nur Einfamilienhäuser. Das ist heutzutage nicht mehr zeitgemäß ist und/oder auch völlig unwirtschaftlich. Wenn also der bestehende Bebauungsplan angepasst werden soll oder es bislang gar keinen gab, dann greift das Bonner Baulandmodel. In diesem Modell wird der Investierende verpflichtet, anteilig geförderte Wohnungen zu errichten. Hält sich der Investierende an das bestehende Baurecht, kann er hierzu nicht verpflichtet werden.

Interview: Dr. Gesa Maschkowski

 

Links und weiterführende Infos

  • Wie sieht eine Wohnraumverteilung aus, die fair und umweltgerecht ist? Damit beschäftigt sich das Konzeptwerk neue Ökonomie. Im Dossier Gerechte Wohnraumverteilung erklären die Autor:innen anschaulich, wie die Vergesellschaftung von Wohnraum sowohl zur sozialen Gerechtigkeit als auch zur Wärmewende beitragen kann. Gezeigt wird auch, wo es schon gut läuft und was es braucht, um die sozial-ökologische Transformation voranzubringen.

  • Crashkurs klimaneutral wohnen: Was können wir konkret tun, um klimafreundlicher zu wohnen? Das zeigte Dipl. Ing. Barbara Fricke, Expertin für erneuerbare Energiesysteme, auf dem 2. Bonn4Future Klimaforum. Hier geht es zum Mitschnitt des Kurzvortrags (Link führt zu vimeo).

  • Der General Anzeiger berichtet über ein aktuelles Wohnungstauschprojekt der Vebowag: In Plittersorf entsteht ein Gebäudekomplex für Menschen, die bereit sind, ihre Wohnfläche zu verkleinern. Die bisher bewohnten Häuser oder (größeren) Wohnungen stehen dann für Familien mit einem höheren Platzbedarf zur Verfügung.

  • Die Kontakt- und Informationsstelle innovative Wohnformen der Stadt Bonn berät Privatpersonen, aber auch Vereine und Investor:innen. Auf der Website findet ihr auch Links zu Initiativen, die gemeinschaftliche, generationsübergreifende Wohnprojekte bereits realisiert haben oder aktuell planen.

  • Einige dieser Initiativen stellen sich auf bonn4future.de vor. Eine Übersicht findet ihr auf unserer Themenseite Wohnen.

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